Unsere Numa
Gibt es wirklich Dinge im Leben, die schicksalhaft sind? Unbeeinflussbar? Dinge, die sich in unser Leben schleichen und einen festen Platz einnehmen in unseren Herzen, in unserer Seele? Ja, die gibt es!
Seit ich ein kleines Mädchen war, erobern mich Tiere im Sturm, deren Seele so groß und rein ist wie die Unendlichkeit des Himmels. Plötzlich sind sie da, als hätten sie sich gerade mich ausgesucht, als hätten sie mich gefunden und nicht ich sie. Und dann schleichen sie sich in mein Herz und werden mir zum Freund, Vertrauten und Seelentröster. Sie lieben mich, egal wer ich bin und was ich mache, sie lieben mich ohne Einfluss auf Aussehen und Besitz. Sie lieben mich meiner selbst Willen und bereichern mein Leben von einer ganz besonderen Seite.
Vielleicht war es das Schicksal, das mich am 13. März 2007 auf die Internetseite der PHU geführt hatte, um nach einem Hund Ausschau zu halten, der den verwaisten Platz von „Möppelchen“ einnehmen konnte, der im Alter von 18 Jahren über die Regenbogenbrücke gegangen war und damit ein Loch in unser Leben gerissen hatte.
Wie unwichtig war da das Alter, wie unwichtig die Rasse und das Aussehen ...
Wichtig war nur, einer Fellnase ein Zuhause zu geben, die es ganz besonders nötig hatte, und so stieß ich auf Hugo, der vom Schicksal schwer gebeutelt, traurig in seiner Hütte saß und schon mit seinem Leben abgeschlossen hatte ...
Hugo aber hatte großes Glück, er war bereits zu lieben Menschen vermittelt worden ...
Und so machte die Vermittlerin mich auf die etwa 1½ jährige Magyar-Vizsla-Mischlingshündin „Numa“ aufmerksam, die als Notfall am 11. Februar 2007 zusammen mit 21 Tieren von Ungarn nach Deutschland gereist und als einziger Hund ohne Heimat im Schleswig-Holsteinischen Örtchen Süderbrarup in einer Tierpension untergekommen war.
Obwohl Numa als menschenbezogen und freundlich, stubenrein und rücksichtsvoll, kinderlieb und artgenossen- und katzenverträglich galt, hatte sich jedoch niemand für sie interessiert. Und als hätten wir nur aufeinander gewartet, durfte die kleine rehbraune Hündin nach 36 Tagen Pensionsleben, am Samstag, den 17.03.2007 in ihr neues Leben in den Landkreis Harburg reisen.
Numa teilte das Schicksal vieler Hunde, die ausgesetzt durch Ungarns Straßen irrten, auf der Suche nach Futter, mit der Erfahrung, von ihren Menschen enttäuscht worden zu sein, mit der Sehnsucht nach einem liebevollen Zuhause. Viele von ihnen landen in überfüllten Tierheimen und sogar in Tötungsstationen
Schwanger mit einer PHU-Fellnase – dieser Satz ist wirklich gut getroffen, denn genauso fühlte es sich an in diesen vier Tagen der Vorbereitungen. Eine kurze und heftige „Schwangerschaft“, die einer Berg- und Talfahrt gleich, Gefühle und Fragen in meinem Kopf herumwirbeln ließen wie ein Wintersturm, der mit Eis und Schnee über das Land zog und altes Laub aufwirbelte, um es davonzutragen.
Meinem Mann ging es genauso wie mir. Wir liebten sie jetzt schon, diese kleine Fellnase, die man in Cégled herrenlos auf der Straße aufgefunden hatte, obwohl wir sie noch gar nicht kannten. Wohlfühlen sollte sie sich bei uns, ein schönes gemütliches Körbchen sollte sie haben und Spielsachen, gesundes Futter und jede Menge Zuneigung und Streicheleinheiten.
Nie war mir die Zeit so lang erschienen wie an jenem Tag, als sich die Vermittlerin mit Numa auf den Weg in unsere Stadt machte. Wie das kleine Mädchen aus der Kindheit kam ich mir plötzlich vor, das mit einer Mischung aus Begeisterung und Ungeduld wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her lief und seinem großen Auftritt entgegenfieberte. Den Blick immer wieder über das Körbchen schweifend, über die liebevoll ausgesuchten Spielsachen und die rote Hundeleine an der Garderobe, in der Hoffnung, Numa möge alles gefallen und spüren, wie Willkommen sie bei uns war und dass sie für immer bleiben durfte.
Immer wieder schaute ich zur Uhr. Wo blieben sie nur? Das Telefon klingelte. Ich nahm ab. Elke. Sie befanden sich noch auf der Autobahn. Numa war unruhig und ängstlich, sie weinte.
„Haben Sie zufällig einen Kombi, in dem wir Numa besser transportieren können?“
„Nein, leider nicht ...“
Warum zum Teufel hatten wir jetzt bloß keinen Kombi? Meine eh schon strapazierten Nerven vibrierten unruhig. Warum hatten wir eigentlich keinen Kombi, wo wir doch immer schon einen Hund gehabt hatten? Es tat mir so Leid, nicht helfen zu können, die beiden sich selber überlassen zu müssen. Herumwirbelnde Gedanken in meinem Kopf. Hoffentlich hatte Numa sich unterwegs besänftigen lassen, hoffentlich kamen sie heil und gesund hier an ...
Zum Glück hatte Numa sich zwischenzeitlich wieder beruhigt, nachdem sie vorne auf den Beifahrersitz Platz nehmen und ihren Kopf auf Elkes Schoß legen durfte. Elke sang ihr Lieder vor, und die kleine Hündin genoss sichtlich ihre Nähe und die Melodien, die nur ihr galten.
Und als sie endlich vorfuhren, fiel mir ein schwerer Stein vom Herzen. Sie waren da! Endlich waren sie da! Numa war in ihrem neuen Heim angekommen. Sie sah genauso aus wie auf dem Foto und eroberte erneut mein Herz im Sturm, dieses Mal im realen Leben. Willkommen, kleine Numa, Willkommen kleine unbekannte Fellnase.
Wir wussten, dass Numa eine gewisse Zeit brauchen würde, um sich einzugewöhnen, um wieder Vertrauen fassen und die schlimmen Dinge, die sie erlebt hatte, vergessen zu können. Numa sollte wieder glücklich werden, vergnügt und ausgelassen. Diese Zeit wollten wir ihr geben, egal wie lang diese auch sein mochte ...
Numa hatte Angst vor allem. Vor Radfahrern, vor Autos, vor Männern ...
Besonders vor Schüssen hatte sie Angst, wenn die Jagdsaison begann und Jäger übers Land zogen, um nach Beute Ausschau zu halten. Sie hatte Angst vor Knallkörpern, vor lärmenden Gruppen ...
Sie war dann winselnd hin- und hergelaufen mit eingeklemmter Rute und Panik in den Augen. Weh getan hatte es uns, sie so zu sehen und ihr nicht wirklich helfen zu können. Und es spielte sich ein Film in unseren Köpfen ab, der zeigte, dass man in ihrem alten Leben womöglich eine regelrechte Treibjagd auf die freilebenden, nicht gewollten Hunde veranstaltet hatte, dass dabei auch auf Numa geschossen wurde, und dass sie gesehen hatte, wie ihre Hundekumpel dabei verletzt oder sogar getötet worden waren ...
Aber das alles gehört endgültig der Vergangenheit an.
Wenn ich daran denke, wie ihr Vertrauen von Tag zu Tag gewachsen war, geht mein Herz vor Freude auf. Von Anfang an hatte sie sich bei uns wohl gefühlt. Es war, als gehörten wir zusammen wie Puzzleteile, die noch zu einem Ganzen fehlten. Dieses Gefühl ist immer noch da und ich muss lächeln, wenn ich daran denke, wie sie am ersten Tag ihr neues Zuhause inspiziert hatte. Ängstlich und neugierig zugleich, den Blick nicht von uns lassend und mit einem Lächeln. Ja, Numa kann lächeln. Sie zeigt dabei ihre weißen Zahnreihen und an den Mundwinkeln bilden sich kleine Grübchen.
Wie war ich gerührt, als sie am ersten Abend ganz vorsichtig die Stufen zum Schlafzimmer hinauftappte, unsicher, aber mit großem Mut, nur um bei uns sein zu können.
Ich sehe sie noch während eines Spazierganges vor Angst unter ein parkendes Auto kriechen, als der Himmel seine Schleusen öffnete und erste Regentropfen zu Boden fielen.
Nie vergesse ich, wie sie sich freudig über die gelben Abfallsäcke am Straßenrand hermachte, in der Hoffnung auf ein bisschen Futter, oder wie sie mich von den Füßen riss, weil ein Hase unseren Weg kreuzte.
Die Erinnerung daran, wie sie freudig das Brathähnchen vom Teller stibitzte, weil sie dachte, es sei ihr Futter, bringt mich auch heute noch zum Lachen, auch der Ausflug an die Nordsee, wo sie sich brav vor einem Kind hinsetzte, in der Erwartung, ein Stückchen von seinem Würstchen abzubekommen.
Ich muss schmunzeln, wie ich sie eines Morgens, während ihres Rundganges durch den Garten, auf dem Dach des Schuppens stehen sah. Mir war vor Schreck fast das Herz stehen geblieben. Ein Eichhörnchen hatte ihren Weg gekreuzt und saß im großen Walnussbaum, keckernd und auf sie hinunterblickend, so als wollte es Numa ärgern.
Und ich sehe sie direkt noch vor mir, wie sie glücklich mit einer leeren Honigmelonenhälfte durch den Garten auf uns zurannte, die sie auf dem Komposthaufen gefunden hatte. „Schaut her, was ich hier habe“, schien sie zu sagen und ihre Augen strahlten glücklich.
Das Gerüst aus Liebe und Geborgenheit, aus Ritualen und Gemeinsamkeiten haben Numa stark und selbstbewusst werden lassen. Sie hat viel gelernt und ihre größten Ängste abgelegt. Mit Bravur geht sie an der Leine und horcht aufs Wort. Sie ist so sanft und anhänglich, so klug und einfallsreich.
Die Fähigkeit, einen Rucksack zu öffnen, um etwas herauszuholen, das sie für ein Leckerli eintauschen kann, gehört für sie zum morgendlichen Ritual. Sie liebt immer noch Hasen, doch reißt sie uns nicht mehr mit sich, um ihnen nachzujagen. Sie liebt Kinder und andere Hunde, unser Lachen, das morgendliche Kuscheln im Bett und all die kleinen täglichen Dinge des Alltags, die wir mit ihr praktizieren. Sie will gefallen und alles richtig machen.
Mein Herz lacht, wenn ich sie sehe, diese kleine braune Hündin, die ausgelassen und voller Lebensfreude durch den Garten streift. Es macht mich glücklich zu sehen, wie selbstbewusst sie heute ihr Leben genießt und wie sie mir jeden Tag aufs Neue ihre Liebe und Treue entgegenbringt. Sie berührt meine Seele, wenn ihre braunen Augen auf mir ruhen und sie sich vertrauensvoll an mich kuschelt.
Sie liebt Suchspiele aller Art, sie liebt es gebürstet zu werden und ihren Markknochen am Abend. Sie liebt ihre Mitbewohnerin Katze Klara. Sie liebt es, Früchte im Garten zu ernten und nach Mäusen zu buddeln. Sie liebt es, den Tag mit uns zu verbringen, sie liebt ihr Zuhause, ihr Rudel ... Ich schließe die Augen und genieße die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Numa springt zu mir auf die Gartenbank und legt ihren Kopf auf meinen Schoß.
An ihren Mundwinkeln zeigen sich Grübchen. Ihr Lächeln steckt mich an. Ach, ich liebe sie, diese kleine Hündin aus Ungarn, die in ihrem Leben schon so viel Schlimmes mitgemacht hat. Ich bin froh, dass sie am Ende glücklich geworden ist. Es ist schön, dass sie da ist. Sie ist das Beste, was uns je passieren konnte.
Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass noch mehr Menschen ihr Bewusstsein für den Tierschutz öffnen und sich für notleidende Tiere einsetzen. Und dass Tiere vor dem Gesetz nicht mehr als Sache gelten und alle Menschen endlich begreifen, dass auch Tiere eine Seele haben.
Was hatte meine Mutter uns Kindern einst beigebracht? Mit einem Spruch, den eigentlich jeder kennen sollte:
„Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt genau wie du den Schmerz.“
Genauso ist es!
Gabriele Datenet