Familie Mucha und Farkas
Schwanger mit einer PHU Fellnase - vom schüchternen Csiki zum selbstbewussten Farkas!
„Duuuu…? Ich möchte einen zweiten Hund!“ Der Blick meines Freundes zeugte nicht gerade von Begeisterung, denn er sah (und sieht) sich in stetiger Konkurrenz zu meinen drei Samtpfoten, von denen die Nummer Drei auch erst als Pflegekind angekündigt war und zum Dauergast wurde und unserer gemeinsamen Hündin, die Dank mir die Größe des von ihm gewünschten Rauhaardackels um ein Vielfaches übersteigt. Dennoch war ihm schon in diesem Moment bewusst, dass meiner Äußerung ein langer Überlegungsprozess vorweg gegangen war und es sich eigentlich um die Mitteilung einer Tatsache handelte.
Tatsächlich hatte ich mich – ehemals reine Katzenfrau – bereits nach dem ersten Jahr mit unserer Hündin Waskja so in das Wesen Hund verguckt, dass ich nie wieder ohne einen sein wollte. Und Waskjas liebes, fügsames Wesen machte es mir möglich, schon früh nach einer weiteren Herausforderung zu suchen. Vom Gedanken an Welpen von ihr, über einen Erwerb eines Welpen, hin zum Hund in ihrem Alter – ja, sogar die Frage des Geschlechts hatte ich bereits erörtert. Von daher: Mein Liebster hatte keine Chance.
Im Dezember 2011 stieß ich in der heimatlichen Zeitung auf den Bericht einer Bäckerei in meinem Arbeitsort, die jedes Jahr im Advent eine Spende Aktion für die PHU durchführt. Dank Online-Zeitung konnte ich den Link sofort anklicken und befand mich zum ersten Mal auf der PHU Seite. Tierheimseiten hatte ich bereits durchforstet – doch die PHU zog mich in den nächsten Tagen immer wieder an. Mich rührten die Schicksale, ich las Berichte und Gästebucheinträge und natürlich schaute ich mir Hunde über Hunde an. Als ich an meinen Freund mit der oben genannten „Frage“ heran trat, hatte ich bereits Favoriten – Rüden um die 50 cm, Waskjas Alter. Und auch den Laptop hatte ich unterm Arm.
Das Wunder geschah und mein Freund und ich schauten gemeinsam weiter. Wir waren uns einig, einem Rüden einen Platz zu geben, der auf den ersten Blick eher – verzeih mir, Farkas – nicht der Hit ist. Nach einigem Hin und Her blieben wir an Csiki hängen. Gestromtes, kurzes Fell, durchhängender Rücken – irgendwie ohne Lebensfreude, aber doch so freundlich. Nie, so stand es da, habe er auch nur eine Anfrage bekommen. Mein Freund bezeichnete ihn als „Endzeithund“. Solche einzigartigen Exemplare, die an der Seite des Protagonisten in Zukunftsfilmen durch eine menschenleere Welt wandern - keine Rasse, kein Stammbaum mehr erkennbar. Creme de la Creme der Mixtur.
Es folgte die gut durchdachte Vorstellung der „Möchte-gern-Übernehmer“ durch das Kontaktformular. Schon jetzt hatte ich Angst, dass allein die Tatsache, dass ich arbeiten gehe schlecht war. Und war ich überhaupt erfahren genug für einen solchen Straßenhund? Zudem war gerade meine beste Freundin – Zeit ihres Lebens immer mit Hund – gegen meine Idee des Zweithundes. Die zwei Tage des Wartens auf eine Mail waren für mich sehr gedankenintensiv – während mein Freund den Dingen ihren Lauf ließ. Aber wie gesagt: Eine andere Chance hatte er nicht.
Die Antwort las ich dann mit Herzklopfen: Man würde Kontakt zu mir aufnehmen zwecks Vorkontrolle. Ich meine, es war im Januar 2012 - und weiter ging das Kopf-Kino meinerseits. Was, wenn sie Waskja als nicht „zweit-hund-tauglich“ einstufen würden? Was, wenn ich zu wenig Kenntnisse vorweisen könnte?
Alles unbegründet. Aber im Nachhinein war es gut, dass ich in dieser Phase über so viele „wenn’s“ nachdachte. Es festigte meinen Endschluss – mit allen Konsequenzen, die er haben sollte. Die Vorkontrolle verlief positiv. Auslaufmöglichkeiten, Gartensicherung, Absicherung für Zeiten, in denen ich und mein Freund verhindert wären, mögliche Verhaltensauffälligkeiten bei Straßenhunden, …vieles wurde durchgesprochen. Und: die Dame nahm mir auch die letzten Zweifel, denn sie selbst besitzt Hunde aus der PHU. Nur beim Termin der Übergabe wurde ich etwas unruhig – zwei Wochen bis zu den Osterferien waren eine lange Zeit, in der ich (Lehrerin) wenig Zeit für die intensive Eingewöhnung haben würde. Mir wäre es direkt zu den Osterferien lieber gewesen, aber natürlich wäre das anmaßend gewesen. Also nutzte ich die Wochen bis zur Übergabe nicht nur für Vertragsunterzeichnungen und Anmeldung des Hundes, sondern auch für die Planung der Wochen bis zu meinem Urlaub. Csiki – bzw. Farkas sollte es an nichts fehlen.
„Weshalb denn FARKAS?“ Diese Frage begleitete mich von nun an auch. Mein Freund und ich wollten unserem Osteuropäer auch einen passenden Namen geben. „Csiki“ empfanden wir für einen Endzeithund aber unangemessen. Wir googelten das Wort „Wolf“ in Polnisch, Russisch, Tschechisch, … und am besten gefiel uns dann das ungarische Ergebnis: „Farkasch“ gesprochen, mit einem wunderschönen, leicht gerollten „R“.
Am 10. März 2012 war es dann soweit. Was hatte ich alles in den Wochen zuvor getan, bedacht, gekauft, recherchiert! Waskja wurde bereits skeptisch: Zwei Körbe? Zwei Näpfe? Noch eine Leine?... Aber ich bemühte mich, die Ruhe selbst zu bleiben. Dankbar war ich besonders, als meine beste Freundin und ehemals größte Kritikerin mich am besagten Abend begleitete. Eine Zigarette nach der anderen rauchend warteten wir auf dem Autohof an der A7. Es war bereits dunkel und der Transporter hatte ein klein wenig Verspätung. Als dann klar war, wer alles den Weg zum Autohof gefunden hatte, um eine PHU-Fellnase abzuholen, fühlte es sich trotz aller Fremde irgendwie nach Gemeinschaft an. Auch die Dame meiner Vorkontrolle war anwesend, um einen Hund in Pflege zu nehmen. Einige hatten Kaffee gekocht – dafür war ich unglaublich dankbar. Ich konnte kaum still halten, als der Transporter anrollte.
Heute empfinde ich den Moment, in dem man Csiki, also Farkas aus seiner Box holte als zeitlos. Es war dunkel und er war durch seine Stromung perfekt getarnt. Er kauerte sich so zusammen, dass man seine Größe gar nicht ausmachen konnte. Er wirkte wie ein zitternder Erdhaufen. Es folgte ein kurzes Foto von uns und dann führten und trugen wir ihn schnell ins Auto, damit er zur Ruhe kommen konnte, soweit dies möglich war. Hiernach kam der Moment, in dem ich das erste Mal erfuhr, was es heißt, einen Straßenhund aufzunehmen: Eine Hündin riss sich im Kofferraum der Übernehmer los und lief ins Dunkel. Auf einmal agierten alle als Team. Alle suchten mit und versuchten, an die scheue Hündin heran zu kommen. Da es sich hier um die Geschichte von Farkas handelt, sei die Geschichte der Suche an dieser Stelle gekürzt: Die Hündin konnte erst am nächsten Tag erfolgreich mit Futter eingefangen werden und erreichte gesund ihr Zuhause. Nach der abendlichen Aufregung fuhren meine Freundin und ich erschöpft nachhause. Von Farkas war zwar nichts zu sehen und zu hören, aber riechen konnten wir ihn mehr als deutlich. Himmel, was für ein Gestank! Meine Freundin hatte kurzzeitig das Verlangen, sich übergeben zu müssen. Ein weit offenes Fenster konnte dies soeben noch verhindern. Ich hatte nie zuvor einen so intensiven Hundegeruch wahrgenommen: Talg, Dreck, Angst. Die Mischung war enorm und meine erste Aufgabe würde darin bestehen, einem Straßenhund, egal wie ängstlich er wäre, die Wirkung von Hundeshampoo zuteilwerden zu lassen. Ein heller Blitz holte mich aus der Wolke des Gestanks zurück in die Realität: Na, toll! Blitzer. Aber dennoch siegte in mir ein zufriedenes Gefühl: Bis hierhin hatte ich schon einiges geschafft.
Zuhause war ich dann allein. Mein Freund war aus. Meine Freundin hatte ich heimgebracht. Farkas war gut gesichert im Kofferraum. Zuerst aber begrüßte ich meine Waskja. Mein letzter Moment mit ihr allein. Ich war vollkommen erschöpft und hatte ehrlich gesagt keine Lust auf einen nächtlichen Zusammenführungsmarathon. Waskja verbannte ich nur eine Tür weiter – sie hatte Farkas‘ Deo eh bereits gewittert… Kofferraum auf, Hund raus heben, weil er nicht springen will, hin zur Haustür und – kläglich an den zwei Stufen ins Haus gescheitert. Farkas scheute. Hund auf den Arm, rein, Tür zu, Leine ab, Hund liegt wie Schildkröte auf Fußmatte – offensichtlich wie ich kurz vorm Nervenzusammenbruch. Herrje. Ich fühlte mich allein gelassen und überfordert. Wo war das Hochgefühl von eben hin?
Mein Hochgefühl kam in dem Moment wieder als ich Waskja zu Farkas ließ. Sie schien sofort zu erkennen, dass er ihre Hilfe brauchte. Er kauerte bewegungslos auf der Fußmatte und guckte sie hilflos von unten herauf an. Waskja ging entspannt um ihn herum, schnupperte interessiert am Straßendeo und berührte ihn sanft. Mit ihrer Hilfe verschaffte er sich einen Überblick über das Haus und ging an der Leine mit mir in den Garten, wo er schier endlos pinkelte. In der ersten Nacht schlief er allein im Wohnzimmer, was ich besonders aufgrund des Gestanks für angemessen hielt. Er entschied sich für Waskjas Korb. Da ihr dies aber scheinbar nichts ausmachte, ließen wir ihn dort und zogen uns zurück.
Farkas‘ Geschichte startete erstmal doppelt gesichert in Halsband und Geschirr. Selbst mein ausbruchsicherer Garten wurde nochmal überprüft. Alles war neu für ihn: Bodenbeläge, Geräusche, Bewegungen. Dennoch muss ich sagen, dass er sich unglaublich bemühte, gelassen zu bleiben. Waskjas Korb wurde sein Beobachtungsstützpunkt. Oft schaute er uns nur zu bei dem, was wir taten. Wenn ich darüber nachdenke wie verfressen er heute ist, sich über jeden freut, der ein Leckerchen aus der Tasche zaubert… In den ersten Tagen traute er sich nicht einmal, aus dem Napf zu fressen. Ich musste die Futterstelle Stück für Stück verändern, so dass Farkas letztlich die Möglichkeit hatte, beim Fressen die Umgebung zu beobachten. Traurig fiel mir zudem auf, dass viele Bewegungen von uns Menschen in ihm die Angst hervorriefen, geschlagen zu werden. Was hatte man mit ihm nur gemacht? Dennoch war mir bewusst, dass ich von Anfang an Regeln aufstellen musste, an die er sich zu halten hatte – eine Hundetrainerin hatte mich auf die Konsequenzen des „Oh-der-arme-Straßenhund“-Denkens aufmerksam gemacht. Dafür bin ich ihr heute, mit einem durchaus wohlerzogenen Farkas an meiner Seite sehr dankbar.
Meinem Freund fiel es deutlich schwerer, sich daran zu gewöhnen, Farkas Zeit zu geben. Toben und Spielen ging nicht, außer zwischen Waskja und Farkas. Mit uns Menschen wurde schon ein geworfener Ball oder ein Hüpfen unsererseits von ihm als Bedrohung gesehen. Einen Kumpel von uns knurrte Farkas sogar an – mein Freund wollte Farkas darauf an den Kumpel heranschieben, um zu zeigen, dass es sich um einen lieben Menschen handelte – dies hatte zur Folge, dass Farkas nach meinem Freund schnappte und ihn nur knapp verfehlte. Es lag noch viel Arbeit vor uns.
Der Punkt, der mich besonders bedrückte, war die Tatsache, dass Farkas eine meiner Katzen – meinen Kater Hektor – immer wieder verbellte und verjagte. Nach zwei Wochen zog mein Hektor aus. Vier Wochen lang zeigte er sich noch in der Nachbarschaft, dann verlor sich seine Spur. Ich war todtraurig, meinen geliebten weißen Riesen wegen meines Wunsches nach einem zweiten Hund verloren zu haben. Nachsicht meinerseits hatte Farkas nun bei Fehlverhalten gegenüber Katzen nicht mehr zu erwarten. Hektor kam nach sieben Wochen geläutert wieder nachhause, voller Zecken und um zwei Kilo leichter. Farkas seinerseits hatte in diesen Wochen gelernt, dass die Katzen wichtige Rudelmitglieder sind. Futter bekam er immer als letzter: Erst wurden die Katzen gefüttert, dann Waskja und erst danach war er an der Reihe. Leckerchen wurden vor seinen Augen den Katzen zugeteilt – er selbst musste zusehen, bis er dran war. Knurren, Grummeln, Springen, … gegenüber meinen Katzen wurde strengstens untersagt. Und siehe da: Wie so oft verstand er schnell.
Auch die Hundeschule stand auf dem Programm. Aber ehrlich gesagt, war ich dort allein mit ihm nur kurz, denn schon beim ersten Auflaufen nannte man uns Streber. Dies war Farkas Verdienst, denn er hatte zuhause im Garten fleißig gebüffelt. Es schien, als ob er allein durch Beobachtung von Waskja vieles erlernen konnte. Also trainierte ich noch ein wenig mit beiden zusammen in der Hundeschule, um beide ein Team werden zu lassen. Aber schlussendlich hat Farkas nur wenige Stunden in der Hundeschule verbracht. Lernen im Alltag machte uns allen auch viel mehr Spaß – und so ist es auch heute noch. Lernen im Alltag bedeutete auch, dass man als Hund einer Zeltlagerleiterin gleich im ersten Sommer in der neuen Heimat mit dem Lagerleben und den damit verbundenen Strapazen Bekanntschaft schließen musste. Und zu meinem Erstaunen war es Farkas, der meiner Waskja half, den Stress besser wegzustecken. Was liebte er es, neben den Kindern im Gras zu liegen und sich kraulen zu lassen, den ganzen Tag an der Luft zu sein, bei fast 40 Personen Fressen schnorren zu können und – zum Ärgernis seines Frauchens – sich über den Biomüll herzumachen. Schlussendlich wählten wir ihn sogar als mobilen Kameramann, sorry –hund aus.
Bevor ich jetzt aber völlig im Lob dahinschwelge: Mein fescher Ungar hat auch negative Seiten, die mir heute teils arge Wutausbrüche bescheren. Nach einem halben Jahr mit gesichertem Körbchen und Vollverpflegung machte der Herr sich, nun frei von Leine auf, um Kaninchen, Hasen, Eichhörnchen, Fasanen und gern auch Rehe zu verfolgen. Dank der nun antrainierten Fitness verlief und verläuft das in einem „Affenzahn“. Gerade noch ein braver Hund, der bei Fuß geht, Sitz, Platz und Bleib beherrscht – und zack – weg isser… Und die arme Waskja guckt ganz verdattert und schuldbewusst hinterher. Gut – ich habe anfangs von einer Herausforderung gesprochen, die ich suchte und diese habe ich angenommen. Waskja jagte im Alter von einem halben Jahr bis zu ihrem ersten Lebensjahr auch mit Hingabe. Also wird auch Farkas lernen, seinen Trieb zu kontrollieren – ich bleibe am Ball. Niemals – NIEMALS – würde ich ihn deswegen wieder hergeben wollen, wie oft ich mich auch schämen werde, wenn er wieder einen Rückfall hat und ich wie Rumpelstilzchen fluchend durch die Gegend hüpfe.
Und dann ist da sein stetes Hautproblem. Als er ankam, wurde er leicht positiv auf Milben getestet und behandelt. Dies wurde auch wiederholt. Dennoch hat der Kerl noch einen beinahe nackten Bauch. Mit der Zeit bin ich davon überzeugt, dass er nicht nur empfindlich ist (z.B. gibt ein Ausflug ins gespritzte Feld Ausschlag), sondern auch gern in alter Tierheim-Zwinger-Manie an sich herum leckt und kaut. Allein das Geräusch seiner schmatzenden Lefzen kann mich auf die Palme bringen. Zurzeit versuche ich, seine Haut mit der Gabe von Silicea und Salbenform zu therapieren. Achja – einen nervösen Magen hat er auch. Hätte ich ja nie gedacht, bei einem Straßenhund, aber man lernt nie aus. Seit ich aber auf das Futter Acht gebe, sind die Anfälle von „ungarischer Flitzekacke“ sehr viel seltener geworden – nur mit seinen „ungarischen Winden“ raubt er einem gern mal den Atem…
Der aufmerksame Leser hat sicher bemerkt, dass ich im Hier und Jetzt angekommen bin. Ich könnte noch stundenlang weiterschreiben, vom Urlaub an der Nordsee, von den Ballspielen im Garten, von den unglaublichen Luftsprüngen, die er machen kann, von liebevollen Knabbereinheiten zwischen Waskja und ihm, und, und, und… Aber nun möchte ich nur noch eins loswerden: Alles, was ich seit März 2012 mit Farkas erlebt habe, möchte ich nicht mehr missen. Es ist weiß Gott nicht leicht, einem Wesen ein neues Leben zu bieten, wenn es den Menschen und die Welt negativ kennengelernt hat, aber: jeder noch so kleine Schritt, jeder Knutscher einer solchen Fellnase erfüllt einen mit unglaublicher Wärme und dem Gefühl, welches mich von Anfang an begleitet hat: Dem Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben.
Mai 2013